Christian Berger
Zynismus ist einfach. Er ist eine Möglichkeit, sich auf etwas einzulassen ohne sich auf etwas einzulassen. In der männerdominierten Stand-up-Comedy sind ironische Distanz zum Gegenstand und Punchlining zu den wesentlichen Genrekonventionen geworden. Die aus Please Like Me bekannte lesbische respektive „gender not-normal“ Schauspielerin und Komikerin Hannah Gadsby räumt in ihrer von Netflix gekaperten Show Nanette mit diesen Konventionen gründlich auf und kritisiert dabei einige zentrale Mechanismen der Kulturindustrie – und das Patriarchat. Hannah Gadsby erzählt zwar, dass und wie sie mit 17 Jahren an einer Bushaltestelle mit homophober und sexistischer Gewalt konfrontiert wird; ein Mann ging davon aus, dass sie ein Mann – wenn auch ein “faggot” – sei und seine Freundin anmache. Sie erzählt dies zunächst aber nur für die Pointe: Der Mann entschuldigt sich bei ihr, als er merkt, dass sie eine Frau ist - er schlage keine Frauen. Das Publikum lacht. Sie landet viele weitere Pointen, die mit ihrer Vergangenheit zu tun haben: mit ihrem Coming-Out und der allgegenwärtigen und bis 1997 gesetzlich verankerten Homophobie, mit der sie in dem kleinen Dorf in Tasmanien, in dem sie aufgewachsen ist, konfrontiert wurde; mit ihrer tiefsitzenden Unzufriedenheit, ihren Depressionen, ihrer Isolation und Scham. Es scheint wie selbstironische Vergangenheitsbewältigung. Doch Gadsby hat genug davon, ihre Geschichte und ihre Geschichten nicht zu Ende zu erzählen; sie hat genug von Frauen- und Lesbenwitzen, selbst wenn diese ironisch angelegt sind. Ab der Hälfte der Show, stellt sie deren Konzept und ihre Profession selbst radikal in Frage: „I have built a career out of self-deprecating humor and I don’t want to do that anymore. Do you understand what self-deprecation means when it come from somebody who already exists in the margins? It’s not humility, it’s humiliation. I put myself down in order to speak, in order to seek permission to speak, and I simply will not do that anymore, not to myself or anybody who identifies with me. If that means that my comedy career is over, then, so be it.“ Gadsby hat genug also von Selbstironie, Zynismus und demütigenden und retraumatisierenden Pointen. Anschließend erzählt sie vor allem eine Geschichte eindringlich zu Ende. Der Mann, der an der Bushaltestelle von ihr abgelassen hatte, kehrte nämlich zurück, „he beat the shit out of me and nobody stopped him“, eben weil sie eine lesbische Frau ist und dominanten Gendernormen nicht entspricht. Und wegen diesen dominanten Gendernormen, hat sie sich nicht an die Strafverfolgungsbehörden gewandt. „I thought that was all I was worth. And I didn't take myself to hospital. And I should have. But I didn't, because that's all I thought I was worth. I am ‘incorrect’ and that is a punishable offense.” Wie eine gelungene Drag-Performance ist Gadsbys Show mimetisch. Zur Mimesis gehört es, jemanden oder auch gesellschaftliche Verhältnisse in ästhetischer Absicht nachzuahmen, auseinander zu nehmen und wieder zusammen zu setzen, dass einzelne Teile nicht mehr in einem Hierarchieverhältnis zu einem Ganzen stehen. Im Fall von Hannah Gadsbys gilt dies für Erzählweisen und Gendernormen, die de- und rekonstruiert werden. Sie werden in neue Relationen zur Stand-up-Comedy als Genre und zum Männlichen als idealisierter Norm gesetzt. In der Comedy-Kultur werden Lebensgeschichten und gesellschaftliche Missstände zu Waren; was zählt, sind Pointen, die sich auszahlen, solche mit einer hohen short-term rate of return. Ästhetik und Ethik haben nur eine funktionale Bedeutung. Geschichten werden dann zu Ende erzählt, wenn sich dies auszahlt. Aber „we tell ourselves stories in order to live“ (Joan Didion); unsere Geschichten zu erzählen, gibt einem Leben erst Geschichte, Bedeutung und ermöglicht es uns, uns moralisch in der Welt zu orientieren. The time is up for irony.
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