Beatrice Behn ist Filmwissenschaftlerin und Filmkritikerin. Sie hat ihren Abschluss in Filmwissenschaft an der FU Berlin gemacht. Ihre filmwissenschaftlichen Schwerpunkte liegen vor allem im Bereich Körperkino, Gender (hier vor allem Maskulinitäten), Actionfilm und Komödie. Beatrice arbeitet als Chefredakteurin für Kino-Zeit und schreibt für andere Publikationen wie VICE, Deutschlandfunk Kultur, Celluloid, Indiewire, Fandor, Sissy Magazin und Königsallee. Nebenbei arbeitet sie auch als Dozentin an der FU Berlin, Kuratorin und Filmemacherin. Ihr Film The Artist & The Pervert wird voraussichtlich Ende des Jahres in Deutschland erscheinen.
Christina Schultz: Beatrice, danke, dass du dir Zeit für uns genommen hast. Unser Schwerpunkt bei Femfilmfans ist Frauen im Film und in den Medien. Nicht nur deine Karriere als Filmkritikerin und Film-Akademikerin ist für uns interessant, sondern auch dein erster Film The Artist & The Pervert. Ich will aber von vorne anfangen und später zu deinem Film kommen. Kannst du uns erzählen wie du deine Leidenschaft für Film entdeckt hast? Beatrice Behn: Das ist relativ einfach zu erklären, denn ich bin in der DDR aufgewachsen und meine gesamte, grundsätzliche Filmbildung besteht daraus, nachts heimlich Westfernsehen geguckt zu haben. Es war eine ziemlich gute Filmbildung, weil nachts auf 3sat wirklich gute Sachen liefen und ich glaube, das war von Anfang an mein Fenster nach draußen zur Freiheit. Nachdem die Mauer gefallen und ich älter geworden war, ist das stark bei mir geblieben. Vor allem die Idee, dass man durch Film an unglaublich viele Orte reisen kann, die man sonst nicht sehen könnte, ganz viele Schicksale, Geschichten und Erfahrungen sammeln kann, die man eigentlich in seiner normalen Lebenszeit gar nicht auf so eine Masse akkumuliert kriegt. CS: Ist das der Grund, warum du Film studiert hast? BB: Tatsächlich ist es so. Ich hatte einen sehr kruden Lebensweg. Ich war eine Weile in den Staaten als ich sehr jung war und bin dann zurückgekommen nach Deutschland und habe erst mit 26 mein Abitur in Deutschland nachgemacht. Als ich das dann hatte, war die Frage, was will ich wirklich studieren? Womit möchte ich mich jahrelang auseinandersetzen? Und da war Film das Einzige, was ich spannend genug fand. Deswegen dachte ich, dann studiere ich eben Film. Ich bin dann in Berlin an die FU gegangen und habe dort Filmwissenschaft angefangen. CS: Was oder wer hat dich inspiriert oder beeinflusst? Was für Filme magst du? BB: Die Horrorfrage für jeden Filmkritiker! Danach kommt die Frage “Was ist dein Lieblingsfilm?” CS: Nein! Diese Frage stelle ich nicht! [lacht] BB: Das ist total schwer zu beantworten. Persönlich liebe ich Genrekino, vor allem Horrorfilme, Fantasy-Filme, usw. Ich mag sehr gerne Trash-Kino, ich bin eine große Liebhaberin trashiger Filme und Midnight Screenings von Filmen der 70ern bis heute. Das sind Sachen, die ich sehr mag, mit denen ich beruflich aber nur zum Teil zu tun habe. Als Kritikerin arbeite ich viel mit Independent Film und Arthouse, wobei ich bei Arthouse unterscheiden muss zwischen innovativem Arthouse Film, und sehr kommerziellem Art House Film, den ich nicht so toll finde. Wenn ich jetzt spontan irgendeinen Film nennen müsste, der demnächst rauskommt, und der mich wirklich genau trifft, wäre das Lynne Ramsay’s You Were Never Really Here [Kinostart in DE war 26. April 2018]. Ein Film mit Joaquin Phoenix als Kopfgeldjäger, der völlig kaputt ist und PTSD hat. Es ist ein super krasser Film, von einer Frau gemacht, wunderbar innovativ, total toll inszeniert und hartes Kino. Filme müssen dich verändern, dich irgendwie berühren. Und nicht dich einfach schläfrig machen. CS: Allerdings. Du hast Regisseurin Lynne Ramsay erwähnt. Was sind deine Erfahrungen als Frau in der Filmbranche? Merkst du Unterschiede in der Funktion in der du auftrittst? BB: Eigentlich nicht. Tendenziell ist es so, dass ich in den Raum laufe und eine von wenigen Frauen bin. Die zweite Erfahrung ist die der Überraschung, dass ich da bin. Und es passiert immer wieder, dass es eine Mischung gibt zwischen Leuten, die sich freuen, dass eine Frau diesen Job macht, und gleichzeitig sind sie irritiert darüber und verwundert und fragen sich, ob ich das überhaupt kann. Danach kommt ein Teil, wo ich mich beweisen muss, dass meine Anwesenheit Validität hat und danach ist es eigentlich okay. Das ist die Grundstruktur die ich seit 10 Jahren in der Filmkritik erfahren habe. Interessanterweise wiederholt es sich auf eine ähnliche Art und Weise gerade mit dem Film [The Artist & The Pervert]. Es gibt aber einen Unterschied. Dieser Film ist jetzt zufällig zu einer Zeit herausgekommen in der durch Time’s Up and #MeToo ein neues Bewusstsein entstanden ist. Ich habe den Film zusammen mit René Gebhardt, einem sich als Mann identifizierenden Menschen gemacht, aber ich bekomme tatsächlich gerade mehr Aufmerksamkeit als er. Wir haben einen Film gemacht über ein sehr interessantes Thema und wir bekommen sehr viel Unterstützung aus der feministischen und filmkritischen Seite, die speziell Frauenfilme unterstützen. Und das ist super neu und total genial. CS: Auf jeden Fall. Wie kam der Film zustande? BB: René und ich sind vor zwei Jahren über diese Story gestolpert, weil es einen Artikel in The New York Times [über Georg Haas und Mollena Williams-Haas, Anm. d. Red.] gab. Ich fand das spannend, weil sofort jeder, mir inklusive, so eine Art ad hoc Reaktion hatte. Dass man sofort sagen will, das ist in Ordnung oder nicht. Das hat so viel getriggert! Wir haben Georg und Mollena angeschrieben und die meinten, ja klar, kommt vorbei, wir machen einen Film - und wir haben sofort diesen Film gemacht. Dadurch, dass es alles so schnell passiert ist, hatten wir niemals die Zeit, oder auch das Interesse, darüber nachzudenken, warum wir diesen Film machen. Wir haben einfach diesen Film gemacht. Punkt. Das macht niemand, aber wir haben es gemacht. CS: Wie hat das Publikum auf den Film reagiert? BB: Wir haben jetzt die ersten Screenings hinter uns und wir waren sehr überrascht, weil wir dachten, dass einige Leute rausgehen und sich denken: “Oh mein Gott, diese Perversen! Ich gehe! Ich will diese zwei Leute nicht nackt sehen! Die sind alt und dick! Um Gottes Willen!” Aber das Gegenteil ist passiert. Alle sind sitzengeblieben. Je mehr der Film gezeigt wurde, desto mehr kamen ins Kino. Die Q&As danach waren unglaublich lang und es gab viele Fragen. Das hat uns total überfahren, weil wir lustigerweise eher damit gerechnet hatten, dass der Film nicht gut ankommt. Wir waren nicht vorbereitet, dass er richtig gut ankommt. Wir versuchen gerade damit klarzukommen [lacht]. CS: Es ist interessant, dass der Film so spontan entstanden ist. Ich habe gelesen, dass der Film durch Crowdfunding finanziert worden ist. Ist das richtig? BB: Jein. Wir haben diesen Film sozusagen non-budget gedreht. Wir hatten Kameras schon da, sind dahin gefahren und haben das auf eigene Kosten gemacht und als wir alle pleite waren, war der Film Gott sei Dank fertig gedreht. Wir mussten nur die Postproduktion realisieren. Das Gute ist, dass René und ich genügend Wissen haben, dass wir fast alles selbst machen konnten außer dem Sound Design. Wir brauchten Geld für den Sound Designer und das haben wir durch Crowdfunding finanziert. CS: Hut ab! Das Pärchen, der österreichische Komponist Georg Friedrich Haas und seine Frau, die ihm freiwillig als Sklavin dient, die Schriftstellerin und Sexualpädagogin Mollena Williams-Haas, ist ziemlich einzigartig und auch voller Gegensätze. Es gibt keinen Kommentar im Film, damit ihre Beziehung möglichst authentisch vermittelt ist. Wer sind sie denn wirklich? BB: Ich glaube es gibt zwei Ebenen. Einmal die zwei Menschen als Paar im echten Leben. Und einmal das Symbol. Das ist es auch, worum es in diesem Film geht. Nach dem Outing in The New York Times haben die meisten Menschen auf Georg und Mollena als ein Symbol für etwas reagiert. Für die einen war es ein Symbol für die totale Befreiung, die anderen ein Symbol für absolute Perversion. Das ist die übergeordnete Ebene und wir haben diesen Film gemacht, um herauszufinden, wer die zwei echten Menschen dahinter sind. Eine 24/7 BDSM Beziehung klingt erstmal für mich persönlich super anstrengend. Wie sieht so etwas aus und warum machen sie das? Wie kann es sein, dass sich beide als FeministInnen bezeichnen und in einer power exchange relationship sind, wo die Frau submissiv ist? In der sie eine 1950s Household Geschichte machen? Das ist sehr schwierig zusammenzukriegen. Die ganze Ethnizität-Frage natürlich auch. Wie kann er, der weiß ist und aus einer Nazifamilie kommt, eine schwarze Frau dominieren? Warum lässt sie das zu? Und das sind die große Fragen die drüberstehen und die wir auch versuchen zu erörtern, aber auf einer persönlichen Ebene. CS: Was findest du persönlich gut an den beiden? BB: Es gibt Sachen, die sie in ihrem Leben machen, die ich ganz toll finde. Es ist radikal, dass sie jetzt in ihrem Alter - Georg ist 65, Mollena ist in den 40ern - ihr Leben endlich so leben wie sie wollen. Das hat mit mir persönlich sehr viel gemacht. Es hat mich zum Nachdenken gebracht. Und das Publikum auch. Man kommt nicht umhin darüber nachzudenken, ob man wirklich das Leben lebt, was man leben will. Das ist sehr spannend. Es gibt aber auch Teilaspekte, wo ich bis heute mit mir selbst hadere. Ich glaube das größte Problem für mich ist der Zeitaspekt. Sie gibt fast all ihre Zeit auf, um ihm zu dienen und das hilft ihm im Alltag und in seiner Kunst. Er kann viel mehr produzieren als vorher. Sie ist aber auch Künstlerin und macht Kunst. Sie machen auch zusammen Kunst aber sie gibt die meiste Zeit für ihn auf. Aber nur, weil ich das ambivalent finde, heißt das noch lange nicht, dass ich jetzt die beiden verurteilen muss. Es ist ihr Leben und nicht meins. Das ist das Schwierigste und das Spannendste an dem Film. CS: Was hältst du von Vorwürfen, dass alles von dem Pärchen nur inszeniert wird? BB: Ich finde es super spannend, weil vor allem Georg vorgeworfen wird, dass es eine PR-Strategie wäre. Allerdings ist er so renommiert und bekannt, dass er das gar nicht braucht. Wenn seine Musik total scheiße wäre und niemand ihn kennen würde, okay. Aber er ist davor schon etabliert gewesen. Es geht einfach darum, dass alles versucht wird, um zu bestreiten, dass zwei Menschen radikal sich selbst verwirklichen. Es ist einfacher zu glauben, dass es eine PR-Strategie wäre, als zu glauben, dass die zwei Leute es wirklich ernst meinen. Und das finde ich total lustig. CS: Du hast Feminismus und Rassismus erwähnt. Wie verhält sich deiner Meinung nach ein/e FeministIn? Wie spielt Feminismus, oder auch Sexismus, Rassismus, usw. eine Rolle in dem Film und in deren Beziehung? BB: Zur ersten Frage: was ist Feminismus? Die Frage kann man nur persönlich beantworten. Denn es gibt nicht den Feminismus. Es gibt tausende verschiedene Spielarten. Für mich ist Feminismus der Wunsch nach Gleichberechtigung zwischen allen möglichen Geschlechter (ich glaube, es gibt mehr als zwei) und dass man unabhängig von seinem Geschlecht alle Möglichkeiten offen hat, sein Leben zu leben wie man möchte. Das ist nicht gegen Männer. Das bedeutet einfach nur, dass man Gleichberechtigung möchte. Ich glaube, auf einer ähnlichen Art und Weise würden Georg und Mollena diese Frage beantworten. Und wenn man darüber nachdenkt, dann merkt man, dass es eigentlich nicht so eine große Diskrepanz gibt zwischen dem, wie die beiden leben und Feminismus. Denn der Punkt am Feminismus ist, dass man sich unabhängig von seinem Geschlecht und übrigens auch seiner Ethnizität verwirklichen kann wie man das verdammt nochmal selbst will. Und dann macht das Ganze Sinn. Wenn man allerdings Feminismus auf so eine kurze, popkulturelle Idee herunterfährt, dass nur Frauen gleichberechtigt sein dürfen und dass sie auch stark sein müssen und nicht submissiv sein dürfen, dann merkt man, dass es eine Diskrepanz gibt. Aber das ist für mich eher ein Zeichen dafür, dass man seinen Feminismus nicht durchdacht hat. Und nicht ein Zeichen dafür, dass die beiden sich belügen. CS: Und mit Sexismus und Rassismus? BB: Der Rassismus, der Sexismus, der gefühlte Anti-Feminismus, das ist alles im Film, allerdings nicht da, wo die meisten Leute denken, dass sie die finden werden. Sondern - und ich glaube das ist das Interessanteste - diese Sachen befinden sich alle in den Vorurteilen, die man als ZuschauerIn mit in den Film bringt. Und mit denen wird man, und das ist auch ein bisschen der Sinn des Filmes, irgendwie konfrontiert, alleine dadurch, dass man den Alltag dieser zwei erlebt. Das ist die Reibungsfläche, die entsteht. Ich glaube, genau an der Stelle passiert es, dass nach dem Film ganz viele Leute viele Fragen haben. Und das ist super. CS: Ja. Ich will unbedingt diesen Film sehen! Als letzte Frage würde ich gerne wissen, was du Mädchen oder Frauen sagen würdest, die sich für eine Filmkarriere interessieren? Hast du Tipps oder ermutigende Worte für sie? BB: Ein Teil von mir will sagen, bloß nicht. Ein Teil von mir möchte eigentlich beschützen und sagen, dass es sehr anstrengend und nervig ist und dass man ganz schön kämpfen muss. Und wenn man, wie ich zum Beispiel, sich auch um Feminismus und Film kümmert, ist man sehr schnell in einer Nische gefangen. Der andere Teil von mir will sagen, ja unbedingt. Wir brauchen mehr Frauen, wir brauchen mehr Stimmen, wir brauchen auch mehr Diversität, vor allem in der Filmkritik, die sehr dominiert wird von jungen weißen Männern aus der Mittelschicht. Wir brauchen aber auch andere Arten von Menschen, weil wir in diesem Diskurs, den wir führen, andere Blickwinkel brauchen. Und ich glaube - außer, dass man sich klar sein muss, dass es grundsätzlich schwer ist sich überhaupt zu etablieren, und als Frau erst recht - kann ich gar keinen Rat geben an der Stelle. CS: Es ist auf jeden Fall schwierig als Frau, egal in welcher Industrie man sich befindet. Wir bedanken uns ganz herzlich für deine weisen Worte. The Artist & The Pervert ist gerade auf Tour. Für Screenings in deiner Nähe, klicke hier: http://artistandpervert.com/ Du kannst auch den Newsletter abonnieren für Updates!
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